Freitag, 28. Dezember 2012

Vorwort


O MENSCH ! …... WARUM …... ?


Bin ein friendliches, ruhiges und ehrliches Wesen.
Habe keine Laster.
Bin kein Trinker, Raucher oder Spieler, gehöre keiner Partei, Organisation, keiner -schaft an.

Meine große Leidenschaft war die Sportangelei, die Hege und Pflege der Fischgewässer.

Ich liebte die Einsamkeit in der Natur.
Die Blumen und Vögel, das Zusammensein mit der Schöpfung am frühen Morgen, wenn die Nacht geht und die Sonne im Osten mit einem Jubeln und Jauchyen, alles zum Dank der Mutter Natur.

Das Leben ist schön, es ist wunderbar.

Aber der Mensch?

Warum bist Du so feindlich und habgierig eingestellt?

Warum musstest Du Deinen Nachbarn töten..., werbrennen..., vernichten?

- Warum? Warum tust Du das?

Die schönsten Jahre meines Lebens, die mir der Schöpfer gab, hast Du mir mir Gewalt vernichtet.

Danach hast Du geschworen: Nie wieder …. Niemals wieder.....

Und schon bei der nächsten Sonnwende hast Du Deinen Schwur, Dein Versprechen vergessen. Traurig, aber wahr!

Und, Du Mensch: Ich möchte Dich daran erinnern, dass Maria und Josef kein Palmenparadies brauchten, um der Welt einen wahren Menschen zu geben.
Aber, Du Mensch: Ich möchte Dich fragen, denn ich möchte es wissen: Wozu braucht der andere Josef Paläste und Millionen...?
Du Mensch sage mir: Woher kommt Deine Habgier?

Irgendwann und irgendwo habe ich mal gelesen, wie ein Kali einem Menschen erklärte, was eine gute Tat ist und wie eine schlechte Tat zu verstehen ist:

Eine schlechte Tat ist, wenn man Kali tot machen,
aber eine gute Tat ist, wenn Kali andere Mensch tot machen.
So einfach ist es im Leben …

Josef der Tischler wird bei Brot und Wasser seinen Sarg bauen und Josef der Habgierige wird bei Klängen Chopins' Trauermarsch in die Ewigkeit geschickt.

Du Mensch, Immanuel sprach, habe den Mut und benutze Deinen Verstand ….. (I. Kant) Ein ewiger Traum des Menschen.

Erwin Kartzewski


Ja, das bin ich! Jahrgang 1925, geboren in Westpreußen.
Auf meinen Schultern trage ich ¾ des 20. Jahrhunderts und 11 Jahre des Einundzwanzigsten.

Ein Greis, ein sehr schwer kranker alter Mann.

Seit dem 20. Februar 1941 bescheinigt ein amtlicher Schwerbehindertenausweis 60% meine Invalidität.

Fünfyehn Jahre und schon ohne linken Arm, ohne Eltern ind Familie.
Ohne ein Zuhause … ohne Zukunft …!

Im Krankenbett:

Immer wieder greife ich mit der rechten Hand yur linken Seite, wo noch vor kurzer Yeit mein linker Arm war. Ich ziehe mir die Bettdecke über die Ohne und weine.

Es ist aus mit dem Boxen, es ist aus mit dem Geigenspielen … uns wieder Tränen, bittere Tränen und Nostalgie im Herzen.

Wo ist meine Mutter? Wo mein Vater? Wo meine Geschwister? Wo ist mein Zuhause?

Ich liege hier im Kreiskrankenhaus in Gollnow b. Stettin, einsam und alleine. Nur zweimal täglich besucht mich Herr Doktor STEIN, der Chirurg, der sich immer wieder rechtfertigt, dass es nicht möglich war, meinen Arm zu retten …
„... die Knochen waren total zersplittert und außerdem hast Du sehr viel Blut verloren. Ich musste amputieren.“

Was war geschehen?

Wir wohnten in Simonsdorf, Kreis Groß Werder, Freistadt Danzig. Heute sind schon viele Jahrzehnte vergangen. Ich bin gefallen und immer wieder aufgestanden, bin weiter marschiert und Sie werden es nicht glauben, aber es ist die Wahrheit.

Das war und ist mein Leben, das mir g e m a c h t wurde.

Das allerschlimmste im Leben ist, dass Themis die Augen verbunden.

Die Waage, die Themis hält, sie ist nicht geeicht und das Gesetz aller Gesetze – die Zehn Gebote, die Gott der Schöpfer Mose gab – wurde durch den Menschen verdrängt, vergessen.

So kam es im Juni 1939 zum Eklat mir Folgen zum heutigen Tage.
Mein Vater wurde durch die Gestapo verhaftet, wie sehr viele in dieser Zeit.

Am 23. August 1939 dann ein Attentat auf unsere Mutter, die fünf minderjährige Kinder hinterließ; der Jüngste erst 5 und der Älteste 14 Jahre alt.

Vater im Gewahrsam der Gestapo, Mutter verschleppt, schwer verwundet ins Unbekannte. Wir Kinder blieben ohne Betreuung, ohne Eltern. Meine Geschwister wunden durch die Tanten getrennt. Ich – Jahrgang 1925 - „durfte“ bleiben, um nach dem rechten zu sehen. Das war der letze Tag einer großen glücklichen Familie. Niemals wieder kam die Familie zusammen. Es waren die letzen Augusttage des Jahres 1939.

SIMONSDORF,
Die nacht vom 31. August zum 01. September 1939 brachte in dieses kleine, kaum 1000-Seelen-dorf ein schreckliches Blutbad.

Auch mein Schwager Paul P. , ein Eisenbahnarbeiter, der vor 10 Monaten meine Schwester geheiratet hatte, wurde erschossen.

Ich, Jahrgang 1925, wurde durch die Gestapo verhaftet und ins Gefängnis nach Danzig gebracht. Nun war auch ich ein V e r b r e c h e r, wurde ein Klimineller …..

Bis heute …..

Simonsdorf war ein kleines Dorf im Kreis Groß Werder, zwischen Marienburg und Tczew, zwischen der Nogat und der Weichsel, inmitten grüner Wiesen und Weizenfelder gelegen. Eine Tiefebenen-Landschaft, ruhig und verträumt, wo der Klang der Kirchenglocken kilometerweit zu hören war. Simonsdorf war ein Dorf mit ca. 23 – 25 Häusern, zwei Domänen und eine Bauernhof, auf dem der Dorfvogt wohnte. Außerdem gab es zwei Schulen – eine deutsche und eine polnische Schule -. Ebenfalls befand sich im Dorf eine Bahnstation, eine Poststelle, eine Molkerei, ein Kolonialwarengeschäft, zwei kleine Gaststätten und ein Gendarmerieposten mit einem Gendarmen, dessen Name „Hermann GRÖNING“ war. Weiterhin gab es am Rand des Dorfes eine Windmühle. Die Einwohnerzahl betrug 120 Familien. Diese wunden durch die 150-160 Saisonarbeiter von April bis Oktober unterstützt. Alle kannten sich untereinander, so dass der eine oder andere sogar wusste, was es beim Nachbarn zum Mittagessen gab.
Simonsdorf

Aus unserem Fenster in der Ostwand des Hauses konnten wir die Marienburg sehen. Ebenso sah man von der Brücke am Bahnhof Simonsdorf das Panorama von Tczew.
Wie schon gesagt, wir kannten uns alle untereinander. Wenn ein Fremder in Simonsdorf erschien, wusste das ganze Dorf von seiner Ankunft. So war es auch mit einem Herrn, der sich Doktor Jakob Lölgen nannte. Ein Herr aus Danzig. Er war allen Einwohnern von Simonsdorf und der Umgebung bekannt.

Es war der Herr Doktor vom „Arbeitsbeschaffungsamt“ aus Danzig. Ein sehr feiner und eleganter Herr. Immer sehr gepflegt gekleidet und vor allem für uns Kinder ein sehr guter Herr. Er verschenkte immer Bonbons und Kokosflockenkonfekt. Er unterhielt sich viel uns Kinder, mit allen Kindern...
Und eines Tages, im Frühjahr 1939, gab er sich die Ehre und besuchte auch unser Zuhause... er sprach sehr lange mit meinen Eltern....

Eines Tages platzte eine Bombe... ganz Simonsdorf wurde erschütert.

Herr Doktor Lölgen kam in unser Dorf in einer SS-Uniform und ging zu Herrn Gröning. Dann wurde Herr vom Arbeitsbeschaffungsamt erwies sich als Chef der Danziger Gestapo... und wie wir später erfahren werden al einer der schlimmsten und kaltblütigsten Mörder, ein unberechenbarer und gefährlicher Verbrecher, ein ergebener Vasall von Adolf Hitler und Heinrich Himmler...

Aber dazu später...

Ein Erdbeben begann, über Nacht entstanden zwei Kategorien Menschen: „die polnischen Schweine“, die „Polacken“, die „Verräter“ der deutschen Sache... und natütlich das Herrenvolk – die Nazis, die Rasse, die Übermenschen, die NSDAP-Menschen.

Blut floss in diesen Tagen in Strömen. Granaten explodieren. Menschen wurden überfallen und blutig geschlagen vor ihren gestrigen Spielkameraden.

Eine Hölle entstand, eine Hölle auf Erden!

Verderben, Angst und Tod wurden zum täglichen Leben. Es gab kein Recht und keinen Frieden mehr. Das Recht war die Willkür. Gewalt und Mord von der Nazi-Bevölkerung durch die SS,SA und NSDAP.

Verhaftungen, eine nach der anderen. Mittle 1939 kam die Reihe auf uns. Als mein Vater mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause fuhr, wurde er auf offener Straße verhaftet. Gröning und Lölgen waren dabei.

Am Abend dieses Tages, als wir Kinder mit der Mutter vor dem Arrest standen, haben wir unseren Vater nicht wiedererkannt. Innerhalb von wenigen Stunden wurde aus einem Menschen eine Masse vegetierender Substanz gemacht. Unser Vater war nicht mehr zu erkennen. Sein Anzug war von Blut getränkt und er hatte keinen Zahn mehr im Mund. Seine Augen waren durch Schwulst und Bluterguss verdeckt. Er wurde durch zwei SS-Männer an den Armen geschleppt. Unsere Mutterfiel in Ohnmacht. Wir Kinder schrien, unsere „Nachbarn“ aus Simonsdorf jubelten. Sie warfen unseren stöhnenden Vater auf den Boden des Lastwagens und fuhren davon, Richtung Danzig, zur Gestapo.

Es war aus es gab kein Zurück mehr, das „Urteil“ war gefallen..

Unermüdlich reiste meine Mutter zwischen Danzig und Simonsdorf hin und her und wiederholte immer wieder: „Wir werden unseren Vater retten.“....

So verging der Sommer 1939, es war „Zeit geworden“ - es kam die Zeit für meine Mutter, der Tag am 23. August 1939, der unser Leben veränderte. Eigentlich sollte es der erste Tag des zweiten Weltkrieges sein.

Um fünf Uhr haben Gröning. Lölgen und noch ein Dritter meine bzw. unsere Mutter, die Mutter von 5 Kindern „ausgeschalter“, niedergeschossen mit zwei Schüssen von hinten in den Rücken aus einer Pistole. Sie ließen sie schwer verwundet vor unserem Haus auf der Erde liegen, setzten sich ins Auto, das vor dem Haus parkte, und fuhren davon.

Fünf Kinder blieben ohne Eltern. Ich, der älteste, 14 Jahre jung und der Jüngste 5 Jahre alt und die bewusstlose Mutter, die aus zwei Wunden blutete, aber die noch lebte. Sie atmete noch und versuchte, sich zu bewegen und zu sprechen:
„Erwin, einen Arzt, rufe einen Arzt...“
und nach einer Weile: „Es war Lölgen, Gröning und Kreutner“...

Wieder war sie bewusstlos...

Zum nächsten Nachbarn hatten wir einen Kilometer, zum nächsten Arzt ca. 12 Kilometer. Das Telefon... ja, das Telefon, das kann uns helfen...
Ich rufe die Bahnstation Simonsdorf... „Simonsdorf, Runowski“!

„Herr Runowski, bitte geben sie mir den Bahnhofsvorsteher! Bitte schnell, meine Mutter wurde vor ein paar Minuten von Lölgen und Gröning niedergeschossen...“

Dann meldete sich der Vorsteher: „Ja, Erwin was ist passiert?“
„Herr Vorsteher, vor ein paar Minuten hat Lölgen meine Mutter niedergeschossen, auch Gröning und Kreutner waren dabei... Mama braucht sofort einen Arzt, bitte Herr Vorsteher, sonst stirbt meine Mutter.... bitte helfen Sie uns...“

„Erwin, sei ganz ruhig, ich werde machen, was ich kann, aber Du weißt, wie weit es zum nächsten Arzt ist. Wo ist Deine Mutter jetzt?“
Bahnhof Simonsdorf

„Sie liegt auf der Erde vor dem Haus und blutet sehr stark...“
„Erwin, versucht Eure Mutter ins Haus zu bringen, wir werden versuchen, Euch zu helfen, aber diese Nacht war sehr schwer und der einzige Arzt in der Gegend ist bei vielen Verwundeten unterwegs. So bald es geht werden wir kommen und jetzt versucht, Eure Mutter ins Haus zu bringen. Hast Du verstenden?“

„Ja, Herr Vorsteher!“

Mein Bruder Thomas sagte zu mir: „Rufe Herrn Dombrowski an...“
Ich telefoniere zu Herrn Dombrowski, unserem nächsten Nachbarn...
„Hier fünf Dombrowski“
„Herr Dombrowski, meine Mutter ist schwer verwundet, sie wurde durch Lölgen und Gröning niedergeschossen... sie braucht schnell einen Arzt und Hilfe. Helfen Sie uns, bitte!“

Die Antwort von Dombrowski: „Das geht mich nichts an. Seh' wie Du damit selber fertig wirst.“, und legte auf.
Jetzt waren alle meine Brüder auf den Beinen. Sie weinten und schrien.

„Los Thomas, fass mit an. Wir müssen Mama aufs Bett legen.“ Und wir haben es geschafft, wir beide – ich 14 und mein Bruder 12 Jahre alt – unsere Mutter ins Haus zu schaffen und aufs Bett zu legen. Mit Handtüchern haben wir die Rückenwunden der Mutter verstopft...
„Mama, habe keine Angst, Du wirst leben. Wir werden es schaffen, Dich zum Arzt zu bringen, bleib ruhig liegen...“
Thomas gab der Mutter zu trinken.
Der Zug!

Ja, der Zug, das ist die Rettung für unsere Mutter. Ein Blick auf die Uhr: In zwei oder drei Minuten muss der „Königsberger“ kommen. So schnell ich konnte, holte ich die Knallkapseln aus dem alarmschrank, das Alarmhorn, die rote Fahne. Vorschriftsmäßig alle paar Meter eine Knallkapsel, eine links und eine rechts, eine links und eine rechts – die letze Kapsel war ausgelegt und schon sah ich, wie mit großer Geschwindkeit der „Königsberger“ angerast kam. Jetzt das Horn. Ich lies aus allen Kräften ins Horn und mit der rechten Hand schwenkte ich die rote Fahre, was „Gefahr“ bedeutet.
Jetzt platzen die Knallkapseln, eine nach der anderen. Der Zug bremste, hastig und stark, bis sogar Freuer an den Rädern zu sehen war. Ein Quietschen und Stöhnen der Lokomotive – der Zug, er stand. Der Lokführer sprang von der Lokomotive: „Was ist mein Junge, was ist passiert? Warum hälst du den Zug an?“

„Maine Mutter wurde von Lölgen und Gröning niedergeschossen und ist schwer verwundet. Sie blutet sehr stark und schwer. Sie braucht dringend einen Arzt. Unser Arzt ist nicht da, hat mir Herr Szczecinski gesagt. Sie müssen meine Mutter sofort nach Tczew ins Krankenhause bringen. Sofort, bitte! Ins Spital...“

Nach einigen Minuten fuhr der Zug wieder Richtung Tczew und im Zug lag meine Mutter. Sie war gerettet...
Doch kam der Zug nur 1500 Meter und dann wurde er wieder angehalten, diesmal durch Lölgen und Gröning auf der Bahnstation in Simonsdorf. Lölgen und Gröning schleppten meine Mutter wieder aus dem Zug (was ich natürlich nicht wusste).

Als der Zug davon gefahren war, befahl ich meinem Bruder Thomas, er solle zu Hause bleiben. „Ich fahre mit dem Fahrrad nach Tczew ins Spital zu Mutter und komme gleich zurück.“ Ich wollte schon aufs Fahrrad steigen, als das Telefon läutete. Schnell war ich am Telefon:

„Ja, hier ist Erwin. Ich höre!“
„Hier spricht Szczesinski (der Bahnhofsvordteher). Hör zu Erwin. Der Zug, in dem Deine Mutter war, wurde angehalten. Lölgen und Gröning haben sie aus dem Zug entführt und sind mit dem Auto davon gefahren...“

Ich hörte nicht mehr weiter hin, schon saß ich auf dem Fahrrad und fuhr zum Henker Gröning nach Hause. Er war nicht da. Nur seine Frau. Frau Gröning und seine zwei Kinder...
„Ich möchte mit Herrn Gröning sprechen.“

„Er ist nicht da. Aber worum geht es denn, Erwin?“, fragte Frau Gröning.
„Doktor Lölgen und Ihr Mann haben meine Mutter erschossen und jetzt haben sie meine Mutter aus dem Zug nach Tczew entführt! Ich will wissen wo meine Mutter ist.“
„Komm‛ rein und beruhige Dich. Mein Mann und Doktor Lölgen könen es nicht gewesen sein. Die beiden sind seit gestern Mittag in Danzig...“
Ich hörte nicht mehr hin, was Frau Gröning noch sprach und lief zum Bahnhof, dann aufs Fahrrad uns nach Hause. Dort nahm ich meine Brüder, fuhr zurück zum Bahnhof und steckte sie alle in den Zug, der nach Tczew fuhr. Hier übergab ich sie den Bahnbehörden der PKP, mit der bitte. Sie mögen meine Brüder zur Tante nach Lag befördern. Ich selbst fuhr zum Generalkomissariat in Danzig und erstattete Anzeige gegen Lölgen und Gröning. Hier bekam ich auch Geld, 100 Gulden und 100 Zlotyk für meine Kostendeckung und zum Lebensunderhalt für meine „Familie“, meine Brüder.

Jetzt fuhr ich nach Hause nach Simonsdorf. Man hatte mir versprochen, sofort Nachforschungen nach meiner Mutter zu machen und mich schnellst möglichst zu benachrichtigen, softern man was erfahren würde.

Zu Hause angekommen katte ich festgestellt, dass unser lebendiges Inventar – die Kuh, die Ziegen und Schweine – fort waren. Nur das Geflügel war noch da und der Hund „Ami“.

Das Haus war leer und einsam, alles rundum war still. lch gab dem
Geflügel und dem Hund zu fressen.

Nun warf ich mich aufs Bett und fing an spasmatisch zu weinen
und schlief ein. Als ich aufwachte war die Sonne im Untergang. Ich
schwang mich aufs Fahrrad und fuhr zu meiner Schwester. Überall
o ich hinkam herrschte eine Grabstimmung. Ich konnte das Mitleidsgefühl nicht verstehen. Ich fuhr wieder nach Hause und verbrachte die Nacht ganz normal in meinem Bett, wıe immer. Das erste mal in
meinem jungen Leben war ich ganz alleine zu Hause...

Am anderen Tag fuhr ich nach Danzig, kaufte für Vater Tabak und Lebensmittel und ging ins Polizeipräsidium, um ihn zu besuchen und ihm
mitzuteilen, was vorgefallen war. Ich musste in den I. Stock ins Zimmer Y und hier stand ich wieder dem Herrn Doktor Lölgen gegenüber.

„Na mein Junge, was willst Du?“, fragte er mich.
Zu meinem Vater will ich, ihm Tabak und Essen bringen und erzählen, was mit unserer Mutter passiert ist.“

„Ja, was ist denn mit Deiner Mutter passiert? Erzähl es mir bitte. Ich möchte es auch wissen.“
Es verschlug mir die Sprache und so schaute ich Lölgen ins Gesicht..



„Ich will zu meinem Vater!“
..So, so - zu Deinem Vater willst Du. Aber Dein Vater ist nicht hier. Er
ist auswärts. Aber den Tabak und das Essen kannst Du ihm da lassen.
Er wird es bekommen und wird Dir dann schreiben, wenn er es erhalten hat...


Und wirklich, am übernächsten Tag kam eine Postkarte. in der mein
Vater den Empfang des Tabaks und der Lebensmittel bestätigte und
mir befahl, Mutter zu gehorchen.

Inzwischen sprach ich beim Gendarmen Gröning vor und wollte wissen, wo sich meine Mutter befindet.
Das Gespräch:
„Herr Wachtmeister, ich möchte wissen, wo Sie meine Mutter hinge-
bracht haben.“
„Ich?! Deine Mutter?! Du musst ja ganz verrückt sein. Und übrigens,
wie kommst Du dazu, herum zu posaunen, dass ich Deine Mutter er-
schossen habe? Wer hat Dir so einen Blödsinn erzählt?“
„Herr Wachtmeister, ich habe Sie gesehen. Sie und Herrn Doktor Lölgen und noch einen Dritten. Mutter hat mir gesagt, das war Kreutner.
„Weißt Du, Erwin, wer Deine Mutter erschossen hat? Es waren die
polnischen Zollinspektoren aus Kalthof und nicht ich und auch nicht
Herr Doktor Lölgen....
„Aber ich habe Sie, Herr Wachtmeister, und Herrn Doktor Lölgen ge-
sehen und nicht die polnischen Zollinspektoren!“
„So, so, du hast uns gesehen. Weißt Du, wir kamen Deiner Mutter zu
Hilfe, denn die Zollinspektoren waren schon geflüchtet … Hast Du das
verstanden?“
„Ja, Herr Wachtmeister!“
„So und nun hau ab und lass Dich ja nicht wieder hier sehen. Sonst
werde ich auch mit Dir abrechnen...“
Zwei Ohrfeigen und einen Fußtritt in das Hinterteil und draußen war
ich...


Wo meine Mutter war, habe ich lange Jahre nicht erfahren, erst 1943..

Es waren die letzten Tage, die letzten acht Tage des „Friedens“ vor
dem zweiten Weltkrieg.
Ich pendelte zwischen Danzig, Tczew, Simonsdorf und Pieckel hin und
her. An manchen Tagen war ich 2-3 mal am gleichen Ort. Ich schlief
dort, wo mich die Nacht antraf, bei den Zollbeamten im Eisenbahnwagon, auf dem Bahnhof in Tczew, bei bekannten Bauern oder auch zu Hause.

Von unserem lebendigen Inventar war nur unser Hund geblieben. Der
alte, treue Ami, der sich an die am Haus vorbeifahrenden Züge niemals
gewöhnt hat. Wenn ein
Zug vorbei raste oder
auch schlich, ärgerte
sich Ami und bellte laut.
Vor allem mochte er
nicht den „Machandelzug' der aus Tiegenhof nach Simonsdorf fuhr und an unserem Haus immer seine Glocke läuten ließ, um uns zu warnen, dass er kommt. Dann wurde Ami ganz
verrückt und man glaubte, er wird die Kette aus der Mauer reißen.


Am Abend kam ich mit meinem Fahrrad angesaust. Schon von weitem
sah ich Ami, der an seiner Kette rumkreiste und mir freundlich zujubelte. Ich ließ ihn von der Kette und nahm ihn mit ins Haus.
„Hast Du Hunger, Ami?“, fragte ich ihn, als ich das Feuer in der Küche
machte. Ich stellte einen Topf auf den Herd, goss Wasser hinein, legte
eine anständige Portion Gänsefett mit Gänsefleisch hinein, ebenfalls
Zwiebel und Haferflocken. Das alles ließ ich aufkochen. Ami wusste,
es war für ihn und stand die ganze Zeit neben mir in der Küche und
schnupperte den Geruch, der aus dem Topf kam. Endlich war es so-
weit, das Essen für Ami war fertig. Ich ließ es abkühlen und Ami ließ
es sich nun schmecken. Ich saß auf der Treppe und schaute dem
Hund zu, wie er es verschlungen hatte. Danach ging er zum Teich und
trank eine Menge Wasser. Dann legte ich ihn wieder an die Kette. Es
war der Abend des 29.-30. August 1939. Noch lange saß ich da und
schaute auf die Marienburg, bis die Kühle des Abends mich in die
Wohnung trieb. Ringsum herrschte totale Ruhe. Kein Zug fuhr mehr, kein Vogel sang.
Denkmal auf der Westerplatte (01.09.1939)

Im Zimmer angelangt dachte ich noch: Solltest eigentlich deine Füße waschen, wenn Mutter zurück kommt wird sie sich aufregen, dass die Bettwäsche schmutzig ist... Ach was, morgen werde ich meine Füße waschen, heute gehe ich schon schlafen.

Es wurde schon ganz dunkel.
Über den grünen Weiden legte sich ein violettblauer Nebel, durchs Fenster fiel eın goldener
Strahl Mondlicht. Es war so still, dass ich mein eigenes Herz schlagen hörte und schlief dabei ein.


Plötzlich wurde ich durch zorniges Bellen von Ami aus dem Schlaf
gerissen. Ich öffnete die Augen. Es war immer noch dunkel. Nur das
aufgeregte Kläffen des Hundes ging durch die Nacht. Ich hörte Schritte. Einmal näher, dann wieder etwas entfernter. „Wer kann das bloß sein?“ dachte ich und auf einmal - zum ersten mal seit dem 23. August, bekam ich es mit der Angst zu tun. Der Schweiß durchströmte
meinen ganzen Körper. Ich begann zu beten, ganz leise. So leise.
dass Gott es kaum wahrnehmen konnte. Ami fing an zu winseln, als
würde ihn jemand schlagen. Ich hatte fürchterliche Angst und lag auf
meinem Bett ganz still. Dann wurde es ganz ruhig um mich. Ich hörte
noch die Kette des Hundes klirren...
„Aha“, dachte ich, „jetzt haben sie uns auch noch Ami gestohlen, unseren Ami. Ich wurde sehr traurig und einsam. Eine Sehnsucht umklammerte meinen Hals und ich fing wieder an zu weinen. Meine letzten Gedanken waren: „Was werden meine Eltern dazu sagen? Alles ist
fort. Ich habe nicht genügend aufgepasst und deshalb wurde alles gestohlen.“



Danach verfiel ich wieder in einen tiefen Schlaf. Als ich meine Augen öffnete. war ein heller, fröhlicher und sonniger Tag angebrochen. Ich schaute auf die Uhr, die bereits die neunte Stunde des Tages anzeigte. Es war der 30. August 1939. Schnell sprang ich aus dem Bett. Im Handumdrehen war ich angezogen und dann fiel mir der Schrecken der Nacht wieder ein. _ .Aml!!!

Ja, was war mit Ami bloß los .... warum hatte er so schrecklich ge-
kläflt?!

Ich stürzte aus dem Hause und wollte sehen. ob der Hund noch da war - unser Freund und ..Beschützer“.
Als ich aus der Tür ins Freie wollte, wurde ich durch etwas gehindert.
Plötzlich stieß ich auf ein wolliges, steifes und kaltes Etwas. Ich prallte zurück...

„Oh mein lieber Gott!", schrie ich auf. „Oh mein lieber, lieber Gott! Ami,
mein lieber Ami. jetzt haben sie auch Dir das Leben genommen." Der Hund hing am Fahnenhalter in der Mitte des Eingangs. Jemand hatte ihn an seiner eigenen Kette vor unserer Tür erhängt.

Oh mein Gott: Was für ein schrecklicher Anblick der eines erhängten Tieres ist. Seine Zunge, graubleich, hing ihm aus dem Maul. Seine Zähne waren kreideweiß und seine Augen glasig graublau. Unter ihm auf der Treppe lag ein Häufchen Kot.

Ich hob Ami an, löste die Kette vom Haken und legte den Hund neben mich. Die Tränen liefen mir von alleine die Wangen hinunter. ohne dass ich es wollte. „Wie werde ich das Vater und Mutter erklären? Was soll ich Ihnen denn nur erzählen?“

Ich holte den Spaten aus dem Stall und grub unter dem Fliederstrauch ein Grab, ein richtig tiefes Grab. Mit dem Laken aus dem Wäscheschrank umwickelte ich unseren Ami und legte ihn ins Grab. Danach holte ich aus Mutters Garten ein paar Malven und legte diese ins Grab zum Abschied von Ami. Das Grab scharrte ich schnell wieder zu und trampelte die Erde danach wieder fest. Zum Schluss legte ich noch

ein paar Steine rundherum und blieb noch eine Weile mit Tränen in den Augen sitzen. Dann sprang ich auf und fuhr mit meinem Fahrrad fort. Als ich mich vom Fahrrad aus umschaute und auf mein Zuhause zurückblickte, wusste ich damals noch nicht, dass ich mein Zuhause nie wieder sehen würde.

Es war 11 Uhr, kurz vor der Mittagszeit am 31. August 1939. Bei meiner Schwester und meinem Schwager habe ich gefrühstückt. Mein Schwager Paul Plath gab mir noch eine Armbanduhr und sagte: „Nimm sie, Du bist jetzt sehr viel unterwegs und kannst sie gut gebrauchen.
Es ist eine sehr gute Uhr und pass auf, dass Du sie nicht verlierst...“
Dann küsste er seine Frau Walla und seinen kaum 4 Wochen alten Sohn und ging fort. Auch ich ging, verabschiedete mich genauso wie Paul; einen Kuss dem kleinen Georg und einen meiner Schwester und schon war ich wieder auf meinem Stahlross und zog Richtung Kalthof weiter. Hier empfing mich mein um einige Jahre älterer Freund, der Zollinspektor Schwarz:

„Ich dachte schon, Du hast uns verlassen, vergessen...“
„Nein, nur ich hatte ein Begräbnis. Unseren Hund Ami haben sie heute Nacht hingerichtet und ich musste ihn begraben...“
„Nimm das nicht so tragisch! Na komm, iss etwas und dann haben wir für Dich einen kleinen Ausflug..“
„Danke, ich habe soeben bei meiner Schwester gegessen und dazu noch von Paul Plath eine Armbanduhr bekommen... ich bin bereit und kann gleich losfahren.“ Den Briefumschlag steckte ich unters Hemd und schon war ich wieder unterwegs. Natürlich schaute ich alle paar Minuten auf meine Uhr.

Aus Simonsdorf raus gings nach Pieckel. Dieses Ziel sollte ich niemals mehr erreichen, auch sollte ich niemals mehr zurückkehren zu den Meinen...

Die Nacht verbrachte ich bei einem bekannten Bauern in der Scheune.
doch die Kälte dieser Nacht ließ mich nicht einschlafen. Beim Morgen-
grauen war ich wieder auf dem Fahrrad und wollte nach Simonsdorf.
Das Dorf war hell beleuchtet und es herrschte reger Betrieb. Ich hörte

Schüsse. „Von der Straße weg!“, ging es mir durch den Kopf. Mein Fahrrad stellte ich hinter einen Heustadl und zwischen den Häusern wie ein Fuchs schlich ich mich zum Bahnhof. lm Fenster, wo immer ein Zeichen für mich hinterlegt war, hing ein Körper. Der tote Körper eines Menschen. Das Blut sickerte an der Mauer herunter. Neben der polnischen Schule wurde geschossen. Wieder fielen Schüsse. Vom Bahnhof Richtung Windmühle gingen Gröning, Palenzatis, beide Brü-
der Kreutner, Nast und Söhnke. Alle mit schussbereiten Gewehren.
Bei der Güterrampe fiel ein einzelner Schuss, ein Mensch jammerte und rief um Hilfe. Jetzt knallten ein paar Schüsse nacheinander, gedämpfte Schüsse, also aus einer Pistole.

„Los, weiter!“, schrie Wachtmeister Gröning..

Ich zog mich zurück zu meinem Fahrrad und fuhr die Straße nach Gnojau runter und dabei kam mir der Gedanke: „Der Pfarrer“. Ja, zum Pfarrer in die Kirche. Doch auf der Kreuzung und der Straße von Marienburg in Richtung Tczew wimmelte es nur so von deutschen Soldaten.

Keiner achtete auf mich. Mein nächster Gedanke war: „Ich muss nach Kein Tczew, zur Weichsel!“

Dann sauste ich in Richtung Weichsel, bis ich den Damm erreicht hatte. Es fing an, schon hell zu werden. Ich fuhr den Damm entlang Richtung Tczew. Eine furchtbare Detonation durchbrach den frühen Morgen. Wieder flogen über mir Flugzeuge. lch wusste zwar nicht genau wann, aber ich wendete und fuhr Richtung Pieckel. Auf der Weichsel herrschte mittlerweile sehr viel Betrieb.
Viele hunderte Boote überquerten die Weichsel nach Polen. . .

Nun, als ich das sah, war mir klar: Es ist Krieg. Ich stieg vom Fahrrad und hörte in den frühen Morgen hinein. Hier und da fiel ein Schuss. lmmer mehr deutsche Soldaten zogen in Richtung Tczew. Ich fuhr wieder Richtung Simonsdorf und wurde auf einmal von einer Feldgendarmeriestreife angehalten:
„Von wo? Wohin? Wie heißt Du? Wo wohnst Du?“ usw.


Mein Schock war zu groß, so dass ich nicht antworten konnte und Meın immer nur das selbe wiederholte: „Alle sind tot, alle sind schon im alle tot!“
Ein Offizier kam und fragte: „Wer ist tot? Und wo sind die Toten?“
Und dann platzte es aus mir heraus:
„In Simonsdorf. Gröning hat alle erschossen!“
„Wer ist Gröning? Wen hat er erschossen'?“, fragte der Offizier.
„Alle, alle sind tot. Paul und Ami...einfach alle..“

„Einen Kradmelder!“, befahl der Offizier.
Kurz darauf meldete sich ein Motorradfahrer, eın Soldat,...
Fahren Sie sofort nach Simonsdorf und schauen Sie nach, was dort los ist. Aber seien Sie vorsichtig und geben mir sofort Rückmeldung!“
Dann fuhr der Soldat mit Vollgas davon.

Soldat brachte einen Topf voll Kaffee und irgendwas zu essen. Das Essen nahm ich nicht an, bloß den heißen Kaffee, da mir sehr kalt war.

Nochmals wurde ich gefragt' Wer ist tot?“
Ich aber schaute nur stur vor mich hin und war nicht in der Lage zu antworten.
“Wo wohnst Du? Wohnst Du in Simonsdorf?“
“Ja!“ nickte ich dem Offizier zu und dann brachten sie mich zum Pfarer nach Gnojau zum Pfarrer Pansky. Gegen Mittag verließ ich das Pfarrhaus und ging nach Simonsdorf... Ich gıng nach Hause. lch ging an der Windmühle vorbei zu unserem Haus, das mein Zuhause war. Dort, wo ich Ami unter
Fliederbusch begraben habe. Doch bevor ich nach Hause kam, wurde ich auf der Straße von Herrn Dombrowski verhaftet und zum Wachtmeister Gröning geführt.
Doch bevor er mich ganz übergab, führte er mich zur Windmühle und zeigte mir einen „Haufen“, auf dem eine Fuhre Mist lag und sagte zu mir: „Schau, hier liegen sie alle, alle ... Es gibt keinen Schwanz (Penis) mehr.“

An einer Tafel stand handgeschrieben:
“Hier liegt die polnische Minderheit aus Simonsdorf.“

Es war aus und alle waren tot.
Ich war der einzige, der noch übrig geblieben war.
Wir hatten den 1. September 1939. Noch gestern - vor 24 Stunden -lebten noch alle. Jetzt waren alle tot und lagen hier neben der Windmühle, am Straßengraben unter einem Misthaufen verscharrt. Es war aus. Sechs Jahre lang lagen die Getöteten an dieser Stelle.

Jetzt führten sie mich gefesselt in Ketten durchs ganze Dorf zum Wachtmeister ins Gefängnis. Ich wurde in einen dunklen Kellerraum gesteckt, wo ich die Nacht mit großen riesigen Ratten verbringen musste, ohne etwas zu trinken, ohne Essen, ohne Decken auf harten, rohen Brettern. Es stank fürchterlich nach Fäkalien und große Ratten jagten einander die ganze Nacht...

Mir war kalt. Ich hatte große Angst. Es war dunkel. Ringsrum herrschte schreckliche Stille. Nur das Toben der Ratten war zu hören.

Ich war ganz allein, war 14 Jahre alt, wusste nicht wo meine Eltern, meine Geschwister waren.

Das erste mal in meinem Leben war ich eingeschlossen in einem „Gefängnis“, in dem eine Öffnung (Fenster) mit Eisengittern war.

In diesem Bunker, in dieser Nacht, gab es einen unvergessenen „Sonnenstrahl“: Ich hörte ein leises Klopfen am Fenster und Jemanden, der meinen Namen leise aber deutlich rief: „E R W I N ?“
Einmal, zwei- dreimal. „Erwin, wach auf! Habe keine Angst und komm ans Fenster. Ich bin es, die Frau Gröning...Komm ans Fenster Erwin...“

Ich folgte der Aufforderung. Und wirklich: Auf der anderen Seite der Mauer stand die Ehefrau des Herrn Herman Gröning.

„Mach das Fenster auf! Ich habe Dir heiße Milch und Brot gebracht!“
Es war wirklich so. Frau Gröning brachte mir einen Topf heißer Milch und eine Stulle Brot mit Schmalz ….

Ein Moment. den ich niemals, bis ans Lebensende nicht vergessen werde.
In dieser Nacht habe ich kein Auge zugemacht. . .
Und wie ging es weiter?

Also gut, in ganz lapidarer Erzählung:

An einem der nächsten Tage wurde ich ins Polizeipräsidium nach Danzig übergeben. Es folgte ein Verhör nach dem anderen. Der Leitfaden zum Verhör ins Protokoll des Gendarmen aus Simonsdorf Hermann Gröning.

Aus dem Polizeipräsidium kam ich ins Gefängnis der .JVA in Danzig -
Schießstange.

Am 11. November 1939, an einem Samstag, gab es ein Gerichtsverfahren vor einem Kriegssondergericht in Danzig.
Es gab ein Urteil...
Aus dem Gefängnis-JVA in Danzig wurde ich ins ARBEITSHAUS in Danzig gebracht und nach einigen Tagen ins Internierungslager Neufahnwassen,
am 2. Februar 1940 nach der Essensausgabe mit einem LKW ins Konzentrationslager Stutthof, wo man mich bis April 1940 hielt .

In der JVA Danzig bin ich ganz kurz meinem Vater begegnet. den ich nicht mehr erkannte, aber ich wusste jetzt: Der Vater lebt. Von Mutter und Geschwistern keine Spur, keine Nachricht.

Mit Vater gab es noch eine zweite und dritte Begegnung - in Neufahrn wasser und in Stutthof.

Im April 1940 wurde ich durch zwei Herren vom Jugendamt aus Danzig abgeholt und ins Landeserziehungsheim Marienthron bei Neustettin in
Pommern gebracht, zur Erziehung im nationalsozialistischen Geist.

Und wieder einsam und alleine, ohne Kontakte zu Mutter. Vater, Familie.


Nach 7 Monaten im NS-Erziehungsheim Marienthron wurde beschlossen, dass ich mein „Pflichtjahr in der Landwirtschaft“ machen muss.
Man hat mich nach HACKENWALDE b. Gollnow gebracht, wo ich beim Bauern Oskar Lange untergebracht wurde. Eine Großfamilie, fünf Kinder, zwei Großeltern und die Eheleute Lange und für mich eine Hölle. Alles was ich bis jetzt erlebt hatte war ein Paradies dagegen.

Der Bauer Carl Lange war der Teufel in ganzer Person.
Hier in Hackenwalde kam es am 20. Februar 1941 zum Unglück. Ich verunglückte in der Häckselmaschine und verlor meinen linken Arm.
Der wurde in den Zahnrädern zermahlen mit Haut und Knochen.
Nach 6 Wochen im Krankenhaus Gollnow wurde ich zurück ins Landeserziehungsheim Marienthron gebracht, wo mein Erzieher Herr Fritz FREIBERG wurde. Die Zöglinge nannten ihn auch Spieß. Er war im Ersten Weltkrieg ein Stabsfeldwebel. Ein sehr feiner und edler Herr.
Er sorgte dafür, dass ich eine Ausbildung (Lehre) als Lagervenrwalter bekam. Mit dem Jugendamt Stettin wurde für mich ein Ausbildungsprogramm bearbeitet; das Eugen SCHMALENBACH Programm, das 18 Monate dauerte. Einmal in der Woche kam eine Dame oder ein Herr aus Neustettin, die mir das Rechnen und Schreiben lernten. Herr Fritz Freiberg erklärte mir die Grundlagen der Politik: „Keine Diktatur herrscht ewig. Es geht alles vorbei...“

Am 16. Mai 1943 war meine Zwangserziehung beendet und ich wurde in den Kriegseinsatz entlassen.

Wurde auf dem SS Truppenübungsplatz im Bau Bruss b. Konitz verpflichtet als Kantinen- und Lagerverwalter, wo ich meine Pflicht bis 31.
Januar 1945 erfüllte.
Es waren sechs Jahre vergangen.

Niemals mehr habe ich Mutter, Geschwister, Vater gehabt. Niemals ein Elternzuhause, ein Familienzuhause gehabt.


Ein ENDE hat es niemals gegeben.
Der beste Mensch in meinem Leben. dem ich begegnet bin. war der Obererzieher im Landeserziehungsheim Marienthron. Herr Fritz Freiberg.
Das Leben?
Also sprach Zarathustra... das Leben bringt Freuden und Leiden und so war es auch... ist es .... und wird es so bleiben.
Es wird immer die Guten und die Schlechten geben

Xll / 2011
Erwin Kartzewski