O MENSCH ! …... WARUM …... ?
Bin ein friendliches, ruhiges und
ehrliches Wesen.
Habe keine Laster.
Bin kein Trinker, Raucher oder Spieler,
gehöre keiner Partei, Organisation, keiner -schaft an.
Meine große Leidenschaft war die
Sportangelei, die Hege und Pflege der Fischgewässer.
Ich liebte die Einsamkeit in der Natur.
Die Blumen und Vögel, das Zusammensein
mit der Schöpfung am frühen Morgen, wenn die Nacht geht und die
Sonne im Osten mit einem Jubeln und Jauchyen, alles zum Dank der
Mutter Natur.
Das Leben ist schön, es ist wunderbar.
Aber der Mensch?
Warum bist Du so feindlich und
habgierig eingestellt?
Warum musstest Du Deinen Nachbarn
töten..., werbrennen..., vernichten?
- Warum? Warum tust Du das?
Die schönsten Jahre meines Lebens, die
mir der Schöpfer gab, hast Du mir mir Gewalt vernichtet.
Danach hast Du geschworen: Nie wieder
…. Niemals wieder.....
Und schon bei der nächsten Sonnwende
hast Du Deinen Schwur, Dein Versprechen vergessen. Traurig, aber
wahr!
Und, Du Mensch: Ich möchte Dich daran
erinnern, dass Maria und Josef kein Palmenparadies brauchten, um der
Welt einen wahren Menschen zu geben.
Aber, Du Mensch: Ich möchte Dich
fragen, denn ich möchte es wissen: Wozu braucht der andere Josef
Paläste und Millionen...?
Du Mensch sage mir: Woher kommt Deine
Habgier?
Irgendwann und irgendwo habe ich mal
gelesen, wie ein Kali einem Menschen erklärte, was eine gute Tat ist
und wie eine schlechte Tat zu verstehen ist:
Eine schlechte Tat ist, wenn man Kali
tot machen,
aber eine gute Tat ist, wenn Kali
andere Mensch tot machen.
So einfach ist es im Leben …
Josef der Tischler wird bei Brot und
Wasser seinen Sarg bauen und Josef der Habgierige wird bei Klängen
Chopins' Trauermarsch in die Ewigkeit geschickt.
Du Mensch, Immanuel sprach, habe den
Mut und benutze Deinen Verstand ….. (I. Kant) Ein ewiger Traum
des Menschen.
Erwin Kartzewski
Ja, das bin ich! Jahrgang 1925, geboren
in Westpreußen.
Auf meinen Schultern trage ich ¾ des
20. Jahrhunderts und 11 Jahre des Einundzwanzigsten.
Ein Greis, ein sehr schwer kranker
alter Mann.
Seit dem 20. Februar 1941 bescheinigt
ein amtlicher Schwerbehindertenausweis 60% meine Invalidität.
Fünfyehn Jahre und schon ohne linken
Arm, ohne Eltern ind Familie.
Ohne ein Zuhause … ohne Zukunft …!
Im Krankenbett:
Immer wieder greife ich mit der rechten
Hand yur linken Seite, wo noch vor kurzer Yeit mein linker Arm war.
Ich ziehe mir die Bettdecke über die Ohne und weine.
Es ist aus mit dem Boxen, es ist aus
mit dem Geigenspielen … uns wieder Tränen, bittere Tränen und
Nostalgie im Herzen.
Wo ist meine Mutter? Wo mein Vater? Wo
meine Geschwister? Wo ist mein Zuhause?
Ich liege hier im Kreiskrankenhaus in
Gollnow b. Stettin, einsam und alleine. Nur zweimal täglich besucht
mich Herr Doktor STEIN, der Chirurg, der sich immer wieder
rechtfertigt, dass es nicht möglich war, meinen Arm zu retten …
„... die Knochen waren total
zersplittert und außerdem hast Du sehr viel Blut verloren. Ich
musste amputieren.“
Was war geschehen?
Wir wohnten in Simonsdorf, Kreis Groß
Werder, Freistadt Danzig. Heute sind schon viele Jahrzehnte
vergangen. Ich bin gefallen und immer wieder aufgestanden, bin weiter
marschiert und Sie werden es nicht glauben, aber es ist die Wahrheit.
Das war und ist mein Leben, das mir g e
m a c h t wurde.
Das allerschlimmste im Leben ist, dass
Themis die Augen verbunden.
Die Waage, die Themis hält, sie ist
nicht geeicht und das Gesetz aller Gesetze – die Zehn Gebote, die
Gott der Schöpfer Mose gab – wurde durch den Menschen verdrängt,
vergessen.
So kam es im Juni 1939 zum Eklat mir
Folgen zum heutigen Tage.
Mein Vater wurde durch die Gestapo
verhaftet, wie sehr viele in dieser Zeit.
Am 23. August 1939 dann ein Attentat
auf unsere Mutter, die fünf minderjährige Kinder hinterließ; der
Jüngste erst 5 und der Älteste 14 Jahre alt.
Vater im Gewahrsam der Gestapo, Mutter
verschleppt, schwer verwundet ins Unbekannte. Wir Kinder blieben ohne
Betreuung, ohne Eltern. Meine Geschwister wunden durch die Tanten
getrennt. Ich – Jahrgang 1925 - „durfte“ bleiben, um nach dem
rechten zu sehen. Das war der letze Tag einer großen glücklichen
Familie. Niemals wieder kam die Familie zusammen. Es waren die letzen
Augusttage des Jahres 1939.
SIMONSDORF,
Die nacht vom 31. August zum 01.
September 1939 brachte in dieses kleine, kaum 1000-Seelen-dorf ein
schreckliches Blutbad.
Auch mein Schwager Paul P. , ein
Eisenbahnarbeiter, der vor 10 Monaten meine Schwester geheiratet
hatte, wurde erschossen.
Ich, Jahrgang 1925, wurde durch die
Gestapo verhaftet und ins Gefängnis nach Danzig gebracht. Nun war
auch ich ein V e r b r e c h e r, wurde ein Klimineller …..
Bis heute …..
Simonsdorf war ein kleines Dorf im
Kreis Groß Werder, zwischen Marienburg und Tczew, zwischen der Nogat
und der Weichsel, inmitten grüner Wiesen und Weizenfelder gelegen.
Eine Tiefebenen-Landschaft, ruhig und verträumt, wo der Klang der
Kirchenglocken kilometerweit zu hören war. Simonsdorf war ein Dorf
mit ca. 23 – 25 Häusern, zwei Domänen und eine Bauernhof, auf dem
der Dorfvogt wohnte. Außerdem gab es zwei Schulen – eine deutsche
und eine polnische Schule -. Ebenfalls befand sich im Dorf eine
Bahnstation, eine Poststelle, eine Molkerei, ein
Kolonialwarengeschäft, zwei kleine Gaststätten und ein
Gendarmerieposten mit einem Gendarmen, dessen Name „Hermann
GRÖNING“ war. Weiterhin gab es am Rand des Dorfes eine Windmühle.
Die Einwohnerzahl betrug 120 Familien. Diese wunden durch die 150-160
Saisonarbeiter von April bis Oktober unterstützt. Alle kannten sich
untereinander, so dass der eine oder andere sogar wusste, was es beim
Nachbarn zum Mittagessen gab.
Aus unserem Fenster in der Ostwand des
Hauses konnten wir die Marienburg sehen. Ebenso sah man von der
Brücke am Bahnhof Simonsdorf das Panorama von Tczew.
Wie schon gesagt, wir kannten uns alle
untereinander. Wenn ein Fremder in Simonsdorf erschien, wusste das
ganze Dorf von seiner Ankunft. So war es auch mit einem Herrn, der
sich Doktor Jakob Lölgen nannte. Ein Herr aus Danzig. Er war allen
Einwohnern von Simonsdorf und der Umgebung bekannt.
Es war der Herr Doktor vom
„Arbeitsbeschaffungsamt“ aus Danzig. Ein sehr feiner und
eleganter Herr. Immer sehr gepflegt gekleidet und vor allem für uns
Kinder ein sehr guter Herr. Er verschenkte immer Bonbons und
Kokosflockenkonfekt. Er unterhielt sich viel uns Kinder, mit allen
Kindern...
Und eines Tages, im Frühjahr 1939, gab
er sich die Ehre und besuchte auch unser Zuhause... er sprach sehr
lange mit meinen Eltern....
Eines Tages platzte eine Bombe... ganz
Simonsdorf wurde erschütert.
Herr Doktor Lölgen kam in unser Dorf
in einer SS-Uniform und ging zu Herrn Gröning. Dann wurde Herr vom
Arbeitsbeschaffungsamt erwies sich als Chef der Danziger Gestapo...
und wie wir später erfahren werden al einer der schlimmsten und
kaltblütigsten Mörder, ein unberechenbarer und gefährlicher
Verbrecher, ein ergebener Vasall von Adolf Hitler und Heinrich
Himmler...
Aber dazu später...
Ein Erdbeben begann, über Nacht
entstanden zwei Kategorien Menschen: „die polnischen Schweine“,
die „Polacken“, die „Verräter“ der deutschen Sache... und
natütlich das Herrenvolk – die Nazis, die Rasse, die Übermenschen,
die NSDAP-Menschen.
Blut floss in diesen Tagen in Strömen.
Granaten explodieren. Menschen wurden überfallen und blutig
geschlagen vor ihren gestrigen Spielkameraden.
Eine Hölle entstand, eine Hölle auf
Erden!
Verderben, Angst und Tod wurden zum
täglichen Leben. Es gab kein Recht und keinen Frieden mehr. Das
Recht war die Willkür. Gewalt und Mord von der Nazi-Bevölkerung
durch die SS,SA und NSDAP.
Verhaftungen, eine nach der anderen.
Mittle 1939 kam die Reihe auf uns. Als mein Vater mit dem Fahrrad von
der Arbeit nach Hause fuhr, wurde er auf offener Straße verhaftet.
Gröning und Lölgen waren dabei.
Am Abend dieses Tages, als wir Kinder
mit der Mutter vor dem Arrest standen, haben wir unseren Vater nicht
wiedererkannt. Innerhalb von wenigen Stunden wurde aus einem Menschen
eine Masse vegetierender Substanz gemacht. Unser Vater war nicht mehr
zu erkennen. Sein Anzug war von Blut getränkt und er hatte keinen
Zahn mehr im Mund. Seine Augen waren durch Schwulst und Bluterguss
verdeckt. Er wurde durch zwei SS-Männer an den Armen geschleppt.
Unsere Mutterfiel in Ohnmacht. Wir Kinder schrien, unsere „Nachbarn“
aus Simonsdorf jubelten. Sie warfen unseren stöhnenden Vater auf den
Boden des Lastwagens und fuhren davon, Richtung Danzig, zur Gestapo.
Es war aus es gab kein Zurück mehr,
das „Urteil“ war gefallen..
Unermüdlich reiste meine Mutter
zwischen Danzig und Simonsdorf hin und her und wiederholte immer
wieder: „Wir werden unseren Vater retten.“....
So verging der Sommer 1939, es war
„Zeit geworden“ - es kam die Zeit für meine Mutter, der Tag am
23. August 1939, der unser Leben veränderte. Eigentlich sollte es
der erste Tag des zweiten Weltkrieges sein.
Um fünf Uhr haben Gröning. Lölgen
und noch ein Dritter meine bzw. unsere Mutter, die Mutter von 5
Kindern „ausgeschalter“, niedergeschossen mit zwei Schüssen von
hinten in den Rücken aus einer Pistole. Sie ließen sie schwer
verwundet vor unserem Haus auf der Erde liegen, setzten sich ins
Auto, das vor dem Haus parkte, und fuhren davon.
Fünf Kinder blieben ohne Eltern. Ich,
der älteste, 14 Jahre jung und der Jüngste 5 Jahre alt und die
bewusstlose Mutter, die aus zwei Wunden blutete, aber die noch lebte.
Sie atmete noch und versuchte, sich zu bewegen und zu sprechen:
„Erwin, einen Arzt, rufe einen
Arzt...“
und nach einer Weile: „Es war Lölgen,
Gröning und Kreutner“...
Wieder war sie bewusstlos...
Zum nächsten Nachbarn hatten wir einen
Kilometer, zum nächsten Arzt ca. 12 Kilometer. Das Telefon... ja,
das Telefon, das kann uns helfen...
Ich rufe die Bahnstation Simonsdorf...
„Simonsdorf, Runowski“!
„Herr Runowski, bitte geben sie mir
den Bahnhofsvorsteher! Bitte schnell, meine Mutter wurde vor ein paar
Minuten von Lölgen und Gröning niedergeschossen...“
Dann meldete sich der Vorsteher: „Ja,
Erwin was ist passiert?“
„Herr Vorsteher, vor ein paar Minuten
hat Lölgen meine Mutter niedergeschossen, auch Gröning und Kreutner
waren dabei... Mama braucht sofort einen Arzt, bitte Herr Vorsteher,
sonst stirbt meine Mutter.... bitte helfen Sie uns...“
„Erwin, sei ganz ruhig, ich werde
machen, was ich kann, aber Du weißt, wie weit es zum nächsten Arzt
ist. Wo ist Deine Mutter jetzt?“
Bahnhof Simonsdorf |
„Sie liegt auf der Erde vor dem Haus
und blutet sehr stark...“
„Erwin, versucht Eure Mutter ins Haus
zu bringen, wir werden versuchen, Euch zu helfen, aber diese Nacht
war sehr schwer und der einzige Arzt in der Gegend ist bei vielen
Verwundeten unterwegs. So bald es geht werden wir kommen und jetzt
versucht, Eure Mutter ins Haus zu bringen. Hast Du verstenden?“
„Ja, Herr Vorsteher!“
Mein Bruder Thomas sagte zu mir: „Rufe
Herrn Dombrowski an...“
Ich telefoniere zu Herrn Dombrowski,
unserem nächsten Nachbarn...
„Hier fünf Dombrowski“
„Herr Dombrowski, meine Mutter ist
schwer verwundet, sie wurde durch Lölgen und Gröning
niedergeschossen... sie braucht schnell einen Arzt und Hilfe. Helfen
Sie uns, bitte!“
Die Antwort von Dombrowski: „Das geht
mich nichts an. Seh' wie Du damit selber fertig wirst.“, und legte
auf.
Jetzt waren alle meine Brüder auf den
Beinen. Sie weinten und schrien.
„Los Thomas, fass mit an. Wir müssen
Mama aufs Bett legen.“ Und wir haben es geschafft, wir beide –
ich 14 und mein Bruder 12 Jahre alt – unsere Mutter ins Haus zu
schaffen und aufs Bett zu legen. Mit Handtüchern haben wir die
Rückenwunden der Mutter verstopft...
„Mama, habe keine Angst, Du wirst
leben. Wir werden es schaffen, Dich zum Arzt zu bringen, bleib ruhig
liegen...“
Thomas gab der Mutter zu trinken.
Der Zug!
Ja, der Zug, das ist die Rettung für
unsere Mutter. Ein Blick auf die Uhr: In zwei oder drei Minuten muss
der „Königsberger“ kommen. So schnell ich konnte, holte ich die
Knallkapseln aus dem alarmschrank, das Alarmhorn, die rote Fahne.
Vorschriftsmäßig alle paar Meter eine Knallkapsel, eine links und
eine rechts, eine links und eine rechts – die letze Kapsel war
ausgelegt und schon sah ich, wie mit großer Geschwindkeit der
„Königsberger“ angerast kam. Jetzt das Horn. Ich lies aus allen
Kräften ins Horn und mit der rechten Hand schwenkte ich die rote
Fahre, was „Gefahr“ bedeutet.
Jetzt platzen die Knallkapseln, eine
nach der anderen. Der Zug bremste, hastig und stark, bis sogar Freuer
an den Rädern zu sehen war. Ein Quietschen und Stöhnen der
Lokomotive – der Zug, er stand. Der Lokführer sprang von der
Lokomotive: „Was ist mein Junge, was ist passiert? Warum hälst du
den Zug an?“
„Maine Mutter wurde von Lölgen und
Gröning niedergeschossen und ist schwer verwundet. Sie blutet sehr
stark und schwer. Sie braucht dringend einen Arzt. Unser Arzt ist
nicht da, hat mir Herr Szczecinski gesagt. Sie müssen meine Mutter
sofort nach Tczew ins Krankenhause bringen. Sofort, bitte! Ins
Spital...“
Nach einigen Minuten fuhr der Zug
wieder Richtung Tczew und im Zug lag meine Mutter. Sie war
gerettet...
Doch kam der Zug nur 1500 Meter und
dann wurde er wieder angehalten, diesmal durch Lölgen und Gröning
auf der Bahnstation in Simonsdorf. Lölgen und Gröning schleppten
meine Mutter wieder aus dem Zug (was ich natürlich nicht wusste).
Als der Zug davon gefahren war, befahl
ich meinem Bruder Thomas, er solle zu Hause bleiben. „Ich fahre mit
dem Fahrrad nach Tczew ins Spital zu Mutter und komme gleich zurück.“
Ich wollte schon aufs Fahrrad steigen, als das Telefon läutete.
Schnell war ich am Telefon:
„Ja, hier ist Erwin. Ich höre!“
„Hier spricht Szczesinski (der
Bahnhofsvordteher). Hör zu Erwin. Der Zug, in dem Deine Mutter war,
wurde angehalten. Lölgen und Gröning haben sie aus dem Zug entführt
und sind mit dem Auto davon gefahren...“
Ich hörte nicht mehr weiter hin, schon
saß ich auf dem Fahrrad und fuhr zum Henker Gröning nach Hause. Er
war nicht da. Nur seine Frau. Frau Gröning und seine zwei Kinder...
„Ich möchte mit Herrn Gröning
sprechen.“
„Er ist nicht da. Aber worum geht es
denn, Erwin?“, fragte Frau Gröning.
„Doktor Lölgen und Ihr Mann haben
meine Mutter erschossen und jetzt haben sie meine Mutter aus dem Zug
nach Tczew entführt! Ich will wissen wo meine Mutter ist.“
„Komm‛ rein und beruhige Dich. Mein
Mann und Doktor Lölgen könen es nicht gewesen sein. Die beiden sind
seit gestern Mittag in Danzig...“
Ich hörte nicht mehr hin, was Frau
Gröning noch sprach und lief zum Bahnhof, dann aufs Fahrrad uns nach
Hause. Dort nahm ich meine Brüder, fuhr zurück zum Bahnhof und
steckte sie alle in den Zug, der nach Tczew fuhr. Hier übergab ich
sie den Bahnbehörden der PKP, mit der bitte. Sie mögen meine Brüder
zur Tante nach Lag befördern. Ich selbst fuhr zum Generalkomissariat
in Danzig und erstattete Anzeige gegen Lölgen und Gröning. Hier
bekam ich auch Geld, 100 Gulden und 100 Zlotyk für meine
Kostendeckung und zum Lebensunderhalt für meine „Familie“, meine
Brüder.
Jetzt fuhr ich nach Hause nach
Simonsdorf. Man hatte mir versprochen, sofort Nachforschungen nach
meiner Mutter zu machen und mich schnellst möglichst zu
benachrichtigen, softern man was erfahren würde.
Zu Hause angekommen katte ich
festgestellt, dass unser lebendiges Inventar – die Kuh, die Ziegen
und Schweine – fort waren. Nur das Geflügel war noch da und der
Hund „Ami“.
Das Haus war leer und einsam, alles
rundum war still. lch gab dem
Geflügel und dem Hund zu fressen.
Nun warf ich mich aufs Bett und fing an
spasmatisch zu weinen
und schlief ein. Als ich aufwachte war
die Sonne im Untergang. Ich
schwang mich aufs Fahrrad und fuhr zu
meiner Schwester. Überall
o ich hinkam herrschte eine
Grabstimmung. Ich konnte das Mitleidsgefühl nicht verstehen. Ich
fuhr wieder nach Hause und verbrachte die Nacht ganz normal in meinem
Bett, wıe immer. Das erste mal in
meinem jungen Leben war ich ganz
alleine zu Hause...
Am anderen Tag fuhr ich nach Danzig,
kaufte für Vater Tabak und Lebensmittel und ging ins
Polizeipräsidium, um ihn zu besuchen und ihm
mitzuteilen, was vorgefallen war. Ich
musste in den I. Stock ins Zimmer Y und hier stand ich wieder dem
Herrn Doktor Lölgen gegenüber.
„Na mein Junge, was willst Du?“,
fragte er mich.
Zu meinem Vater will ich, ihm Tabak und
Essen bringen und erzählen, was mit unserer Mutter passiert ist.“
„Ja, was ist denn mit Deiner Mutter
passiert? Erzähl es mir bitte. Ich möchte es auch wissen.“
Es verschlug mir die Sprache und so
schaute ich Lölgen ins Gesicht..
„Ich will zu meinem Vater!“
..So, so - zu Deinem Vater willst Du.
Aber Dein Vater ist nicht hier. Er
ist auswärts. Aber den Tabak und das
Essen kannst Du ihm da lassen.
Er wird es bekommen und wird Dir dann
schreiben, wenn er es erhalten hat...
Und wirklich, am übernächsten Tag kam
eine Postkarte. in der mein
Vater den Empfang des Tabaks und der
Lebensmittel bestätigte und
mir befahl, Mutter zu gehorchen.
Inzwischen sprach ich beim Gendarmen
Gröning vor und wollte wissen, wo sich meine Mutter befindet.
Das Gespräch:
„Herr Wachtmeister, ich möchte
wissen, wo Sie meine Mutter hinge-
bracht haben.“
„Ich?! Deine Mutter?! Du musst ja
ganz verrückt sein. Und übrigens,
wie kommst Du dazu, herum zu posaunen,
dass ich Deine Mutter er-
schossen habe? Wer hat Dir so einen
Blödsinn erzählt?“
„Herr Wachtmeister, ich habe Sie
gesehen. Sie und Herrn Doktor Lölgen und noch einen Dritten. Mutter
hat mir gesagt, das war Kreutner.
„Weißt Du, Erwin, wer Deine Mutter
erschossen hat? Es waren die
polnischen Zollinspektoren aus Kalthof
und nicht ich und auch nicht
Herr Doktor Lölgen....
„Aber ich habe Sie, Herr
Wachtmeister, und Herrn Doktor Lölgen ge-
sehen und nicht die polnischen
Zollinspektoren!“
„So, so, du hast uns gesehen. Weißt
Du, wir kamen Deiner Mutter zu
Hilfe, denn die Zollinspektoren waren
schon geflüchtet … Hast Du das
verstanden?“
„Ja, Herr Wachtmeister!“
„So und nun hau ab und lass Dich ja
nicht wieder hier sehen. Sonst
werde ich auch mit Dir abrechnen...“
Zwei Ohrfeigen und einen Fußtritt in
das Hinterteil und draußen war
ich...
Wo meine Mutter war, habe ich lange
Jahre nicht erfahren, erst 1943..
Es waren die letzten Tage, die letzten
acht Tage des „Friedens“ vor
dem zweiten Weltkrieg.
Ich pendelte zwischen Danzig, Tczew,
Simonsdorf und Pieckel hin und
her. An manchen Tagen war ich 2-3 mal
am gleichen Ort. Ich schlief
dort, wo mich die Nacht antraf, bei den
Zollbeamten im Eisenbahnwagon, auf dem Bahnhof in Tczew, bei
bekannten Bauern oder auch zu Hause.
Von unserem lebendigen Inventar war nur
unser Hund geblieben. Der
alte, treue Ami, der sich an die am
Haus vorbeifahrenden Züge niemals
gewöhnt hat. Wenn ein
Zug vorbei raste oder
auch schlich, ärgerte
sich Ami und bellte laut.
Vor allem mochte er
nicht den „Machandelzug' der aus
Tiegenhof nach Simonsdorf fuhr und an unserem Haus immer seine Glocke
läuten ließ, um uns zu warnen, dass er kommt. Dann wurde Ami ganz
verrückt und man glaubte, er wird die
Kette aus der Mauer reißen.
Am Abend kam ich mit meinem Fahrrad
angesaust. Schon von weitem
sah ich Ami, der an seiner Kette
rumkreiste und mir freundlich zujubelte. Ich ließ ihn von der Kette
und nahm ihn mit ins Haus.
„Hast Du Hunger, Ami?“, fragte ich
ihn, als ich das Feuer in der Küche
machte. Ich stellte einen Topf auf den
Herd, goss Wasser hinein, legte
eine anständige Portion Gänsefett mit
Gänsefleisch hinein, ebenfalls
Zwiebel und Haferflocken. Das alles
ließ ich aufkochen. Ami wusste,
es war für ihn und stand die ganze
Zeit neben mir in der Küche und
schnupperte den Geruch, der aus dem
Topf kam. Endlich war es so-
weit, das Essen für Ami war fertig.
Ich ließ es abkühlen und Ami ließ
es sich nun schmecken. Ich saß auf der
Treppe und schaute dem
Hund zu, wie er es verschlungen hatte.
Danach ging er zum Teich und
trank eine Menge Wasser. Dann legte ich
ihn wieder an die Kette. Es
war der Abend des 29.-30. August 1939.
Noch lange saß ich da und
schaute auf die Marienburg, bis die
Kühle des Abends mich in die
Wohnung trieb. Ringsum herrschte totale
Ruhe. Kein Zug fuhr mehr, kein Vogel sang.
Im Zimmer angelangt dachte ich noch:
Solltest eigentlich deine Füße waschen, wenn Mutter zurück kommt
wird sie sich aufregen, dass die Bettwäsche schmutzig ist... Ach
was, morgen werde ich meine Füße waschen, heute gehe ich schon
schlafen.
Es wurde schon ganz dunkel.
Über den grünen Weiden legte sich ein
violettblauer Nebel, durchs Fenster fiel eın goldener
Strahl Mondlicht. Es war so still, dass
ich mein eigenes Herz schlagen hörte und schlief dabei ein.
Plötzlich wurde ich durch zorniges
Bellen von Ami aus dem Schlaf
gerissen. Ich öffnete die Augen. Es
war immer noch dunkel. Nur das
aufgeregte Kläffen des Hundes ging
durch die Nacht. Ich hörte Schritte. Einmal näher, dann wieder
etwas entfernter. „Wer kann das bloß sein?“ dachte ich und auf
einmal - zum ersten mal seit dem 23. August, bekam ich es mit der
Angst zu tun. Der Schweiß durchströmte
meinen ganzen Körper. Ich begann zu
beten, ganz leise. So leise.
dass Gott es kaum wahrnehmen konnte.
Ami fing an zu winseln, als
würde ihn jemand schlagen. Ich hatte
fürchterliche Angst und lag auf
meinem Bett ganz still. Dann wurde es
ganz ruhig um mich. Ich hörte
noch die Kette des Hundes klirren...
„Aha“, dachte ich, „jetzt haben
sie uns auch noch Ami gestohlen, unseren Ami. Ich wurde sehr traurig
und einsam. Eine Sehnsucht umklammerte meinen Hals und ich fing
wieder an zu weinen. Meine letzten Gedanken waren: „Was werden
meine Eltern dazu sagen? Alles ist
fort. Ich habe nicht genügend
aufgepasst und deshalb wurde alles gestohlen.“
Danach verfiel ich
wieder in einen tiefen Schlaf. Als ich meine Augen öffnete. war ein
heller, fröhlicher und sonniger Tag angebrochen. Ich schaute auf die
Uhr, die bereits die neunte Stunde des Tages anzeigte. Es war der 30.
August 1939. Schnell sprang ich aus dem Bett. Im Handumdrehen war ich
angezogen und dann fiel mir der Schrecken der Nacht wieder ein. _
.Aml!!!
Ja, was war mit
Ami bloß los .... warum hatte er so schrecklich ge-
kläflt?!
Ich stürzte aus
dem Hause und wollte sehen. ob der Hund noch da war - unser Freund
und ..Beschützer“.
Als ich aus der
Tür ins Freie wollte, wurde ich durch etwas gehindert.
Plötzlich stieß
ich auf ein wolliges, steifes und kaltes Etwas. Ich prallte zurück...
„Oh mein lieber
Gott!", schrie ich auf. „Oh mein lieber, lieber Gott! Ami,
mein lieber Ami.
jetzt haben sie auch Dir das Leben genommen." Der Hund hing am
Fahnenhalter in der Mitte des Eingangs. Jemand hatte ihn an seiner
eigenen Kette vor unserer Tür erhängt.
Oh mein Gott: Was
für ein schrecklicher Anblick der eines erhängten Tieres ist. Seine
Zunge, graubleich, hing ihm aus dem Maul. Seine Zähne waren
kreideweiß und seine Augen glasig graublau. Unter ihm auf der Treppe
lag ein Häufchen Kot.
Ich hob Ami an,
löste die Kette vom Haken und legte den Hund neben mich. Die Tränen
liefen mir von alleine die Wangen hinunter. ohne dass ich es wollte.
„Wie werde ich das Vater und Mutter erklären? Was soll ich Ihnen
denn nur erzählen?“
Ich holte den
Spaten aus dem Stall und grub unter dem Fliederstrauch ein Grab, ein
richtig tiefes Grab. Mit dem Laken aus dem Wäscheschrank umwickelte
ich unseren Ami und legte ihn ins Grab. Danach holte ich aus Mutters
Garten ein paar Malven und legte diese ins Grab zum Abschied von Ami.
Das Grab scharrte ich schnell wieder zu und trampelte die Erde danach
wieder fest. Zum Schluss legte ich noch
ein paar Steine
rundherum und blieb noch eine Weile mit Tränen in den Augen sitzen.
Dann sprang ich auf und fuhr mit meinem Fahrrad fort. Als ich mich
vom Fahrrad aus umschaute und auf mein Zuhause zurückblickte, wusste
ich damals noch nicht, dass ich mein Zuhause nie wieder sehen würde.
Es war 11 Uhr,
kurz vor der Mittagszeit am 31. August 1939. Bei meiner Schwester und
meinem Schwager habe ich gefrühstückt. Mein Schwager Paul Plath gab
mir noch eine Armbanduhr und sagte: „Nimm sie, Du bist jetzt sehr
viel unterwegs und kannst sie gut gebrauchen.
Es ist eine sehr
gute Uhr und pass auf, dass Du sie nicht verlierst...“
Dann küsste er
seine Frau Walla und seinen kaum 4 Wochen alten Sohn und ging fort.
Auch ich ging, verabschiedete mich genauso wie Paul; einen Kuss dem
kleinen Georg und einen meiner Schwester und schon war ich wieder auf
meinem Stahlross und zog Richtung Kalthof weiter. Hier empfing mich
mein um einige Jahre älterer Freund, der Zollinspektor Schwarz:
„Ich dachte
schon, Du hast uns verlassen, vergessen...“
„Nein, nur ich
hatte ein Begräbnis. Unseren Hund Ami haben sie heute Nacht
hingerichtet und ich musste ihn begraben...“
„Nimm das nicht
so tragisch! Na komm, iss etwas und dann haben wir für Dich einen
kleinen Ausflug..“
„Danke, ich habe
soeben bei meiner Schwester gegessen und dazu noch von Paul Plath
eine Armbanduhr bekommen... ich bin bereit und kann gleich
losfahren.“ Den Briefumschlag steckte ich unters Hemd und schon war
ich wieder unterwegs. Natürlich schaute ich alle paar Minuten auf
meine Uhr.
Aus Simonsdorf
raus gings nach Pieckel. Dieses Ziel sollte ich niemals mehr
erreichen, auch sollte ich niemals mehr zurückkehren zu den
Meinen...
Die Nacht
verbrachte ich bei einem bekannten Bauern in der Scheune.
doch die Kälte
dieser Nacht ließ mich nicht einschlafen. Beim Morgen-
grauen war ich
wieder auf dem Fahrrad und wollte nach Simonsdorf.
Das Dorf war hell
beleuchtet und es herrschte reger Betrieb. Ich hörte
Schüsse. „Von
der Straße weg!“, ging es mir durch den Kopf. Mein Fahrrad stellte
ich hinter einen Heustadl und zwischen den Häusern wie ein Fuchs
schlich ich mich zum Bahnhof. lm Fenster, wo immer ein Zeichen für
mich hinterlegt war, hing ein Körper. Der tote Körper eines
Menschen. Das Blut sickerte an der Mauer herunter. Neben der
polnischen Schule wurde geschossen. Wieder fielen Schüsse. Vom
Bahnhof Richtung Windmühle gingen Gröning, Palenzatis, beide Brü-
der Kreutner, Nast
und Söhnke. Alle mit schussbereiten Gewehren.
Bei der Güterrampe
fiel ein einzelner Schuss, ein Mensch jammerte und rief um Hilfe.
Jetzt knallten ein paar Schüsse nacheinander, gedämpfte Schüsse,
also aus einer Pistole.
„Los, weiter!“,
schrie Wachtmeister Gröning..
Ich zog mich
zurück zu meinem Fahrrad und fuhr die Straße nach Gnojau runter und
dabei kam mir der Gedanke: „Der Pfarrer“. Ja, zum Pfarrer in die
Kirche. Doch auf der Kreuzung und der Straße von Marienburg in
Richtung Tczew wimmelte es nur so von deutschen Soldaten.
Keiner achtete auf
mich. Mein nächster Gedanke war: „Ich muss nach Kein Tczew, zur
Weichsel!“
Dann sauste ich in
Richtung Weichsel, bis ich den Damm erreicht hatte. Es fing an, schon
hell zu werden. Ich fuhr den Damm entlang Richtung Tczew. Eine
furchtbare Detonation durchbrach den frühen Morgen. Wieder flogen
über mir Flugzeuge. lch wusste zwar nicht genau wann, aber ich
wendete und fuhr Richtung Pieckel. Auf der Weichsel herrschte
mittlerweile sehr viel Betrieb.
Viele hunderte
Boote überquerten die Weichsel nach Polen. . .
Nun, als ich das
sah, war mir klar: Es ist Krieg. Ich stieg vom Fahrrad und hörte in
den frühen Morgen hinein. Hier und da fiel ein Schuss. lmmer mehr
deutsche Soldaten zogen in Richtung Tczew. Ich fuhr wieder Richtung
Simonsdorf und wurde auf einmal von einer Feldgendarmeriestreife
angehalten:
„Von wo? Wohin?
Wie heißt Du? Wo wohnst Du?“ usw.
Mein Schock war zu
groß, so dass ich nicht antworten konnte und Meın immer nur das
selbe wiederholte: „Alle sind tot, alle sind schon im alle tot!“
Ein Offizier kam
und fragte: „Wer ist tot? Und wo sind die Toten?“
Und dann platzte
es aus mir heraus:
„In Simonsdorf.
Gröning hat alle erschossen!“
„Wer ist
Gröning? Wen hat er erschossen'?“, fragte der Offizier.
„Alle, alle sind
tot. Paul und Ami...einfach alle..“
„Einen
Kradmelder!“, befahl der Offizier.
Kurz darauf
meldete sich ein Motorradfahrer, eın Soldat,...
Fahren Sie sofort
nach Simonsdorf und schauen Sie nach, was dort los ist. Aber seien
Sie vorsichtig und geben mir sofort Rückmeldung!“
Dann fuhr der
Soldat mit Vollgas davon.
Soldat brachte
einen Topf voll Kaffee und irgendwas zu essen. Das Essen nahm ich
nicht an, bloß den heißen Kaffee, da mir sehr kalt war.
Nochmals wurde ich
gefragt' Wer ist tot?“
Ich aber schaute
nur stur vor mich hin und war nicht in der Lage zu antworten.
“Wo wohnst Du?
Wohnst Du in Simonsdorf?“
“Ja!“ nickte
ich dem Offizier zu und dann brachten sie mich zum Pfarer nach Gnojau
zum Pfarrer Pansky. Gegen Mittag verließ ich das Pfarrhaus und ging
nach Simonsdorf... Ich gıng nach Hause. lch ging an der Windmühle
vorbei zu unserem Haus, das mein Zuhause war. Dort, wo ich Ami unter
Fliederbusch
begraben habe. Doch bevor ich nach Hause kam, wurde ich auf der
Straße von Herrn Dombrowski verhaftet und zum Wachtmeister Gröning
geführt.
Doch bevor er mich
ganz übergab, führte er mich zur Windmühle und zeigte mir einen
„Haufen“, auf dem eine Fuhre Mist lag und sagte zu mir: „Schau,
hier liegen sie alle, alle ... Es gibt keinen Schwanz (Penis) mehr.“
An einer Tafel
stand handgeschrieben:
“Hier liegt die
polnische Minderheit aus Simonsdorf.“
Es war aus und
alle waren tot.
Ich war der
einzige, der noch übrig geblieben war.
Wir hatten den 1.
September 1939. Noch gestern - vor 24 Stunden -lebten noch alle.
Jetzt waren alle tot und lagen hier neben der Windmühle, am
Straßengraben unter einem Misthaufen verscharrt. Es war aus. Sechs
Jahre lang lagen die Getöteten an dieser Stelle.
Jetzt führten sie
mich gefesselt in Ketten durchs ganze Dorf zum Wachtmeister ins
Gefängnis. Ich wurde in einen dunklen Kellerraum gesteckt, wo ich
die Nacht mit großen riesigen Ratten verbringen musste, ohne etwas
zu trinken, ohne Essen, ohne Decken auf harten, rohen Brettern. Es
stank fürchterlich nach Fäkalien und große Ratten jagten einander
die ganze Nacht...
Mir war kalt. Ich
hatte große Angst. Es war dunkel. Ringsrum herrschte schreckliche
Stille. Nur das Toben der Ratten war zu hören.
Ich war ganz
allein, war 14 Jahre alt, wusste nicht wo meine Eltern, meine
Geschwister waren.
Das erste mal in
meinem Leben war ich eingeschlossen in einem „Gefängnis“, in dem
eine Öffnung (Fenster) mit Eisengittern war.
In diesem Bunker,
in dieser Nacht, gab es einen unvergessenen „Sonnenstrahl“: Ich
hörte ein leises Klopfen am Fenster und Jemanden, der meinen Namen
leise aber deutlich rief: „E R W I N ?“
Einmal, zwei-
dreimal. „Erwin, wach auf! Habe keine Angst und komm ans Fenster.
Ich bin es, die Frau Gröning...Komm ans Fenster Erwin...“
Ich folgte der
Aufforderung. Und wirklich: Auf der anderen Seite der Mauer stand die
Ehefrau des Herrn Herman Gröning.
„Mach das
Fenster auf! Ich habe Dir heiße Milch und Brot gebracht!“
Es war wirklich
so. Frau Gröning brachte mir einen Topf heißer Milch und eine
Stulle Brot mit Schmalz ….
Ein Moment. den
ich niemals, bis ans Lebensende nicht vergessen werde.
In dieser Nacht
habe ich kein Auge zugemacht. . .
Und wie ging es
weiter?
Also gut, in ganz
lapidarer Erzählung:
An einem der
nächsten Tage wurde ich ins Polizeipräsidium nach Danzig übergeben.
Es folgte ein Verhör nach dem anderen. Der Leitfaden zum Verhör ins
Protokoll des Gendarmen aus Simonsdorf Hermann Gröning.
Aus dem
Polizeipräsidium kam ich ins Gefängnis der .JVA in Danzig -
Schießstange.
Am 11. November
1939, an einem Samstag, gab es ein Gerichtsverfahren vor einem
Kriegssondergericht in Danzig.
Es gab ein
Urteil...
Aus dem
Gefängnis-JVA in Danzig wurde ich ins ARBEITSHAUS in Danzig gebracht
und nach einigen Tagen ins Internierungslager Neufahnwassen,
am 2. Februar 1940
nach der Essensausgabe mit einem LKW ins Konzentrationslager
Stutthof, wo man mich bis April 1940 hielt .
In der JVA Danzig
bin ich ganz kurz meinem Vater begegnet. den ich nicht mehr erkannte,
aber ich wusste jetzt: Der Vater lebt. Von Mutter und Geschwistern
keine Spur, keine Nachricht.
Mit Vater gab es
noch eine zweite und dritte Begegnung - in Neufahrn wasser und in
Stutthof.
Im April 1940
wurde ich durch zwei Herren vom Jugendamt aus Danzig abgeholt und ins
Landeserziehungsheim Marienthron bei Neustettin in
Pommern gebracht,
zur Erziehung im nationalsozialistischen Geist.
Und wieder einsam
und alleine, ohne Kontakte zu Mutter. Vater, Familie.
Nach 7 Monaten im
NS-Erziehungsheim Marienthron wurde beschlossen, dass ich mein
„Pflichtjahr in der Landwirtschaft“ machen muss.
Man hat mich nach
HACKENWALDE b. Gollnow gebracht, wo ich beim Bauern Oskar Lange
untergebracht wurde. Eine Großfamilie, fünf Kinder, zwei Großeltern
und die Eheleute Lange und für mich eine Hölle. Alles was ich bis
jetzt erlebt hatte war ein Paradies dagegen.
Der Bauer Carl
Lange war der Teufel in ganzer Person.
Hier in
Hackenwalde kam es am 20. Februar 1941 zum Unglück. Ich verunglückte
in der Häckselmaschine und verlor meinen linken Arm.
Der wurde in den
Zahnrädern zermahlen mit Haut und Knochen.
Nach 6 Wochen im
Krankenhaus Gollnow wurde ich zurück ins Landeserziehungsheim
Marienthron gebracht, wo mein Erzieher Herr Fritz FREIBERG wurde. Die
Zöglinge nannten ihn auch Spieß. Er war im Ersten Weltkrieg ein
Stabsfeldwebel. Ein sehr feiner und edler Herr.
Er sorgte dafür,
dass ich eine Ausbildung (Lehre) als Lagervenrwalter bekam. Mit dem
Jugendamt Stettin wurde für mich ein Ausbildungsprogramm bearbeitet;
das Eugen SCHMALENBACH Programm, das 18 Monate dauerte. Einmal in der
Woche kam eine Dame oder ein Herr aus Neustettin, die mir das Rechnen
und Schreiben lernten. Herr Fritz Freiberg erklärte mir die
Grundlagen der Politik: „Keine Diktatur herrscht ewig. Es geht
alles vorbei...“
Am 16. Mai 1943
war meine Zwangserziehung beendet und ich wurde in den Kriegseinsatz
entlassen.
Wurde auf dem SS
Truppenübungsplatz im Bau Bruss b. Konitz verpflichtet als Kantinen-
und Lagerverwalter, wo ich meine Pflicht bis 31.
Januar 1945
erfüllte.
Es waren sechs
Jahre vergangen.
Niemals mehr habe
ich Mutter, Geschwister, Vater gehabt. Niemals ein Elternzuhause, ein
Familienzuhause gehabt.
Ein ENDE hat es
niemals gegeben.
Der beste Mensch
in meinem Leben. dem ich begegnet bin. war der Obererzieher im
Landeserziehungsheim Marienthron. Herr Fritz Freiberg.
Das Leben?
Also sprach
Zarathustra... das Leben bringt Freuden und Leiden und so war es
auch... ist es .... und wird es so bleiben.
Es wird immer die
Guten und die Schlechten geben
Xll /
2011
Erwin
Kartzewski
Lieber Herr Kartzewski,
AntwortenLöschenbei einer Suche nach weiteren Informationen zu Gollnow stieß ich heute morgen zufällig auf Ihren Blog-Eintrag. Ich will Ihnen schreiben und sagen, wie sehr mich Ihre Geschichte erschüttert hat. Ich werde sie nie vergessen. Es tut mir leid, was Sie in Ihrem Leben durchmachen mussten - es gibt Wunden, die heilen niemals. Vielen Dank, dass Sie dies aufgeschrieben und Anderen damit zur Verfügung gestellt haben. Man kann nur hoffen, dass es viele lesen, auch wenn sie keine Kommentare hinterlassen... Alles Gute an Sie!
Ihre Geschichte hat mich sehr traurig gemacht. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen alles Gute.
AntwortenLöschenIhre Geschichte hat mich sehr traurig gemacht. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen alles Gute.
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